Angriff auf das eigene Gehirn: Wie Autoantikörper gegen das Markscheidenprotein MOG ihr Ziel erkennen
Das menschliche Immunsystem erzeugt eine enorme Vielfalt an Antikörpern, die erforderlich sind, um uns vor Krankheitserregern zu schützen. Dabei werden aber auch Fehler gemacht und es kommt zur Bildung von Autoantikörpern, die körpereigene Strukturen angreifen und zum Beispiel rheumatische Erkrankungen oder Entzündungen im Gehirn verursachen.
Identifikation und Charakterisierung solcher Autoantikörper sind essenziell für die Diagnose und optimale Therapie. Einige Patienten mit Entzündungen im Gehirn haben Autoantikörper gegen das Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG). Dieses Protein ist an der Außenseite des Myelins, der Isolierschicht von Nervenfasern im Gehirn, zu finden. Patienten mit Antikörpern gegen MOG haben Sehstörungen und Lähmungen wie Patienten mit Multipler Sklerose. Der Nachweis von MOG-Antikörpern erlaubt eine Abgrenzung zur Multiplen Sklerose und definiert eine eigenständige Erkrankung, genannt MOGAD.
Die Arbeitsgruppe von Prof. Edgar Meinl am Biomedizinischen Centrum hat nun neue Details herausgefunden, wie Antikörper gegen MOG von Patienten mit MOGAD ihr Ziel erkennen. In den letzten Jahren hatten das Meinl Labor und andere berichtet, dass der N-terminale Teil des MOG Proteins (aa1-124) die von MOG-Antikörpern erkannten Epitope enthält. Erstaunlicherweise ist dieser N-terminale Teil von MOG aber nicht ausreichend, um MOG-Antikörper dieser Patienten nachzuweisen. Das Meinl Labor hat nun die Ursachen dafür herausgefunden. Der Einsatz verschiedener Varianten von MOG zeigte, dass die zweite hydrophobe Domäne von MOG erforderlich ist, damit die MOG-Antikörper der Patienten den extrazellulären Teil erkennen. Weiter fand die Gruppe, dass MOG-Antikörper der Patienten ihr Antigen nur bivalent binden. Diese Erkenntnisse führten zu einem neuen Modell für die Interaktion von MOG und MOG-Antikörpern: Der intrazelluläre Teil mit der zweiten hydrophoben Domäne hält die MOG-Moleküle in einem Abstand, der eine bivalente Bindung erlaubt.
Diese neuen Erkenntnisse haben Implikationen für Diagnose und Therapiestrategien. Zum einen erklären sie, warum ein Zell-basierter Assay mit der Expression des gesamten MOG-Proteins nötig ist, um MOG-Antikörper zu identifizieren. Zweitens spricht die erforderliche bivalente Bindung dafür, dass die Komplement-Aktivierung nicht der wesentliche pathogene Effekt von MOG-Antikörpern ist, da bekannt ist, dass bivalent (im Gegensatz zu monovalent) gebundene Antikörper nur schwach mit der Komplementkomponente C1q interagieren. Diese Erkenntnis ist von direkter klinischer Relevanz, denn es legt nahe, dass die Inhibition von Komplement, die in der verwandten Erkrankung Neuromyelitis optica erfolgreich ist, bei Patienten mit MOGAD weniger effektiv ist. Somit haben detaillierte Erkenntnisse über die Interaktionen zwischen Autoantikörpern und ihrer Zielstruktur direkte Implikationen für therapeutische Strategien.
Publikation: Macrini et al.: Features of MOG required for recognition by patients with MOG antibody-associated disorders, Brain 2021